Wolfgang Heger zu Anna Ingerfurths Bildwelten
Muster-Leben / Lebens-Muster.
Muster-Leben
Wer Anna Ingerfurths Bildwelten betrachtet, bemerkt bereits beim flüchtigen Blick, dass die Auseinandersetzung mit dem Ornament in ihren Arbeiten einen wichtigen Platz einnimmt. Das Ornament als Schmuck oder Zierrat von Gegenständen erfährt hier eine immense Erweiterung vom schmückenden Beiwerk zum zentralen Bildgegenstand. Dabei geht es weniger um das Ornamentale als Variante der abstrakten Darstellung, sondern vielmehr um eine vom Alltagsverständnis abweichende Definition von Räumlichkeit.
Im Ornament gibt es keinen Tiefenraum, also findet man bei Anna Ingerfurth eine permanente Störung der Zentralperspektive wie sie in der traditionellen abendländischen Kunst seit der Renaissance üblich ist, denn das Ornament bemächtigt sich beinahe der gesamten Bildstruktur ähnlich wie z.B. in den Arbeiten von Henri Matisse.
Anna Ingerfurths Bildräume sind also nicht wirklich illusionistisch, sondern es sind in gewisser Weise optische Fallenbilder und zwar im Sinne einer relativistischen Augentäuscherei. Dieses relativistische Darstellungsprinzip ist in der prinzipiellen Gleichwertigkeit von ungegenständlich und gegenständlich begründet, die die Ornamentik in ihre eigene Entwicklungsgeschichte eingebaut hat.
In diesem Sinne schafft Anna Ingerfurth eine Art von stofflichem Raum-Gewebe. Die Stofflichkeit interessiert dabei allerdings weniger von der materiellen Seite der Dingwelt her, denn die Dinge scheinen sich unter dem Einfluss der immateriellen Stofflichkeit geradezu aufzulösen und dekorative Muster dominieren einen Bildraum, der zum ornamentalen Farbraum wird.
Herr / Frau / Mustermann
Verortet ist der Mensch bei Ingerfurth auf urbanen Plätzen, die sie häufig durch dekorative Strukturen ersetzt. Öffentliche Plätze sind nicht wild und naturwüchsig, sondern in der Regel gestaltet. Der Blick auf diese Plätze erfolgt meist durch die Vogelperspektive, – ein Blick in eine Art von Guckkasten oder Bildbox, ein Diorama, in dem sich skurrile Szenen entwickeln. Der Eindruck von Monumentalität ist dabei nicht von der Zentimetergröße der Leinwand oder ihrer Figuren abhängig. Eine eigenartige Relativität des Großen und Kleinen findet sich nicht nur in den Bildern selbst, sondern auch in den gewählten Bildformaten. Der Mensch, im klassischen Sinne noch als Maßstab aller Dinge verstanden, stellt bei Ingerfurth lediglich die optischen Bezugsgrößen für den Betrachter her, er definiert hier also zwar den Maßstab, aber zugleich wird er in eine Art Theaterstatisterie eingemeindet, wird zur anonymen Staffage für die Ordnungs-Muster, die diese Bildwelten immer wieder zu überformen scheinen.
Muster- werden als zentrale Begrifflichkeit auf mehren Ebenen wörtlich genommen. Stoff-Muster oder Verhaltens-Muster. Durch den Rückgriff auf das Typisierte, auf die Norm bezieht sich Anna
Ingerfurth jedoch nicht nur auf das Verhalten, sondern auf das gesamte Lebensumfeld. Muster werden dabei zu Surrogaten der wirklichen Natur, das Ornament wird zum dekorativen Substitut des tatsächlichen Lebens.
Der Innenraum, quasi die Bildtapete wird umgestülpt und gerät zum Außenraum, eine merkwürdige Umkehrung der Prinzipien der klassischen abendländischen Landschaftsmalerei steht im Zentrum der Darstellung. Es ist immer transformierte Natur, eine „Als-ob-Natur“, die Anna Ingerfurth zeigt und innerhalb dieser Konfektionierung des Lebensraums gibt es immer wieder verstörende Momente der Verrätselung und Skepsis über die wahre Natur der Dinge. Sie zeigt die selbstverständliche Absurdität des Menschen in seiner chamäleonartigen Anpassungsfähigkeit an völlig beliebige, unnatürliche und total gestaltete Lebensräume.
Schon bei Denis Diderot (1713-84), dem Philosophen der Aufklärung, bezeugten Gärten und Parks bereits den Verlust der „realen“ Natur. Der Mensch, in solche Umgebungen gestellt, gerät zur Pantomime des natürlichen Menschen (Oskar Bätschmann) und schafft sich eine selbstbetrügerische Kompensation.
Diese naturähnliche Staffage in ihrer Künstlichkeit beschreibt den Lebens-Raum nicht als etwas Selbstverständliches, als natürliche Tat-Sache, sondern als An-Sichts-Sache, eben als Dessin ( franz. für Muster, Vorlage) als Mode, als Lebens-Muster, als etwas, das dem Menschen auf den Leib geschrieben werden kann, etwas, das maßgeschneidert, etwas, das gestaltet werden kann.